Badische Zeitung
Titisee-Neustadt – 12. Mai 2010
TITISEE-NEUSTADT. Seit Tagen nagt das trübe Frühlingswetter an Geduld und Seele. Davon genervt, erwartet niemand an diesem Samstagabend eine besondere Aufregung im "Neustädter Hof". Bei den Besuchern handelt es sich überwiegend um eingefleischte Elvis- Fans, die Liedern und Geschichten lauschen und ihrem King of Rock huldigen wollen. Dazu haben sich manche mehr als hübsch gemacht: Auf engen T-Shirts prangen Schwarz-Weiß-Porträts des jungen Presley über den wild schlagenden Fan-Herzen. Die Presley-Fans sind bekannt dafür, ein besonders kritisches Publikum zu sein und mit schlechten Elvis-Verschnitten nicht zimperlich umzugehen. Zu schön war der smarte Presley, zu zart sein Schmelz in der Stimme, um sich dies von Halbkünstlern verderben zu lassen.
Keine leichte Aufgabe also, die sich Theatermerz aus Graz mit seiner Show "Elvis The King" gestellt hatte. So klang das Aaah, als Schauspieler Willi Bernhart in seinem Glitzerkostüm auf die Bühne stürmte, höflich, doch beinahe entsetzt. Sollte der lange Weg durch das Höllental ganz umsonst gewesen sein? Wild zuckt der Geschichtenerzähler über die Bühne, heute Abend wird er improvisieren, moderieren. Er hat den Rock ’n’ Roll im Blut, oh ja.
Als Marinos Kurda die Bühne betritt, begleitet noch ein Aaah den Applaus, diesmal erleichtert und erfreut. Kurda ist Vollblutmusiker, studierte klassischen Gesang, spielte in zahlreichen Musical- und Operettenproduktionen große Rollen und unterrichtet seit 2006 an der Musikakademie in Graz. Doch neben all diesen Fakten: Als Elvis starb, wurde ein Teil von ihm in Marinos Kurdas wiedergeboren. Kurdas langweilt die Hörer nicht mit Flachversionen der großen Hits und unbekannteren Songs. Perfekt einstudiert und sehr gefühlvoll interpretiert, lässt er mit seiner unglaublichen Stimme zum E-Piano Elvis auferstehen.
Und was sich Bernhart traut, ist der Knüller, der das Publikum aus seiner Frühlingsstarre taut. Der Künstler sticht mit seiner Verrücktheit aus der sanften breiten Masse der Kleinkunstbühnenkünstler hervor. Viel habe er über das Publikum in dieser Gegend gehört, meint er gleich. Es soll wohl vorkommen, das hier vier Stunden lang kein Mensch lache. Bernhart unterhält sich mit dem Publikum, will es verstehen und kennen lernen. Der Dialog ist Teil der Show, seine Reaktionen unvorhersehbar und spannend. Was wird geschehen?
Elvis-Groupies stürmen tanzend die Bühne
Die Künstler wähnen sich in einer verklemmten Gegend, was sich erst einmal zu bestätigen scheint. Der eine Besucher verwechselt die erotischen Beckenbewegungen von Elvis the Pelvis mit einer Arthrose im fortgeschrittenen Stadium (Bernhart wusste gleich, dass dieser Bursche die ganze Show über Probleme machen würde), eine Frau im Publikum behauptet, keinen Orgasmus zu kennen, es sei dies eine katholische Gegend. Aha – Bernhart bietet ihr ein Einzelgepräch nach der Show an. Der Schauspieler versteht es subtil bis deutlich zu provozieren und schonungslos zu schockieren.
Und wahrscheinlich ist es dieses Schockprogramm, das die Leute nach und nach entkrampft. Es wird viel und überraschend gelacht, Bernharts Humor ist trocken und selbstironisch. Und er scheint sich auf einem schmalen Grat zum Wahnsinn zu bewegen. "Was fällt ihnen ein, jetzt zu lachen – nun, da ich Probleme mit meinem Kostüm habe." Bernhart fährt die Dame, die in gelöstem Zustand ihren Kicheranfall nur noch schwer unter Kontrolle bekommt, stürmisch an.
Was ist hier Show, was ist Ernst, wo hört das Drehbuch auf und wo beginnt die Improvisation? Der Künstler bleibt ein Geheimnis, ein Rätsel, stets überraschend. Bernhart ist ein Spinner im allerbesten Sinne der Kunst. Er duldet keine Albernheiten bei den politischen oder traurigen Songs. Er fordert Bewegung und Aktivität bei den Rocksongs. Und Kurda singt sie alle mit perfektem Schmelz, ohne Mikro und nur selten mit einem Blick auf die Noten. Sogar Elvis- Groupies scheinen plötzlich auferstanden, zwei Frauen stürmen tanzend auf die Bühne und trauen sich alles. Der kritische Herr vom Anfang brüllt seine Begeisterung heraus. Das Publikum tobt, sitzt schon lange nicht mehr, als Kurda für das letzte Stück vom E-Piano auf den alten Flügel wechselt: Theatermerz hat es geschafft, absolut zu überraschen und das triste Einerlei mit einer einzigartigen Elvis-Show wegzuwischen.
Autor: Marion Pfordt
Und Elvis geht doch noch einzigartig
Marinos Kurda und Willli Bernhart begeistern mit einer tollen Show für den King of Rock ’n’ Roll.
Marinos Kurda spielt auch mit den Füßen perfekt und singt wie der King of Rock’n Roll, Willi Bernhart erzählt und improvisiert Geschichten. Foto: marion pfordt